,,Wir haben nicht Menschen, sondern den Feind bombardiert.”
Der ehemalige britische Bomberpilot Harold Nash spricht mit Schülern der Brecht-Schule über den Krieg und seine Schuldgefühle.
VON ASTRID LUDWIG
Quelle: Frankfurter Rundschau, Mittwoch, 10. November 2004.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin, (per Mail vom 12.12.2014)
Auf Einladung der Stadt weilt der ehemalige britische Bomberpilot Harold Nash in Darmstadt. Nash, Zeitzeuge der Filmdokumentation ,,Brandmale”, sprach mit Schülern der 11. Klasse der Bertold-Brecht-Schule über Krieg, Fliegereinsätze und Schuldgefühle.
Darmstadt, 9. November 2004 - Die Sätze drängen geradezu aus Harold Nash heraus. Er redet, weil er ein wenig nervös ist, hier vor diesen jungen Menschen. „Ich habe fast so viel Angst wie damals in der Luft“ kokettiert er in perfektem Deutsch. Fast scheint es so, als müsse er sich alles von der Seele reden, was vor 60 Jahren geschehen ist — warum er damals zur Luftwaffe ging, dass er bei den nächtlichen Einsätzen geschlottert hat wie Espenlaub und ihm erst viel später klar wurde, was die Bomben anrichteten, die er abwarf. „Ich bin gar nicht stolz darauf, was ich gemacht habe“ sagt der 82-Jährige, der Angriffe auf Hannover, Berlin und das Ruhrgebiet flog. „Ich war damals nur ein bisschen älter als Sie, gerade 18 Jahre“ wendet er sich an die Schüler. „Ich wollte der Held von Birmingham sein. Erst spät habe ich daran gedacht, dass ich getötet werden könnte, und da war das ganze Abenteuergefühl weg”.
Seine Erklärungen, pazifistischen Appelle, Antworten auf Fragen der Schüler sind leidenschaftlich, freundlich, um Verständnis werbend und klingen wie die nachträgliche Entschuldigung an eine nachfolgende Generation. Kaum ein Wort darüber fällt, dass die Deutschen den Krieg begannen und als erste englische Städte bombardierten. Das Wort Rache existiert in Nashs Gedanken nicht und sein Gefühl der Reue und der eigenen Schuld am Tod Tausender lässt kaum Differenzierung, Abwägung oder Schuldzuweisung an die andere Seite zu.
13 Bombeneinsätze hat der Navigator Nash geflogen. ,,Ein Mensch wurde ich erst wieder auf den Rückflügen nach Hause”, sagt er. Am 27. September 1943 wurde er über Hannover abgeschossen, sprang mit dem Fallschirm ab. Nur zwei der sieben Besatzungsmitglieder überlebten. Am Tag versteckte er sich und floh in der Nacht. „Ich konnte vor Angst weder stehen noch gehen”, erinnert er sich. in der Nähe der ostpreußischen Grenze zu Litauen wurde er gefasst und kam in Kriegsgefangenschaft.
Welche Gefühle er gehabt habe? Ob er nicht gewusst habe, dass auch Menschen, nicht nur Gebäude, im Bombenhagel starben, wollten die Schüler wissen. Mit Lehrerin Renate Hess haben sie die Brandnacht in Darmstadt und das Thema Erinnern durchgenommen. Harold Nash überlegt kurz. „Sie wissen heute, was Krieg ist, durch die Erzählungen ihrer Großeltern. 1939 in England kannten wir keine Ruinen, waren nie besetzt. Ich hatte keine Ahnung”. Er habe die Einsätze nie hinterfragt oder verweigert: „Man muss Mut haben und grundlegende Überzeugungen, um Außenseiter zu sein”. Die Flieger hätten nur an die eigene Haut gedacht. „Viel lief mechanisch ab. Wir haben nicht die Menschen, sondern den Feind bombardiert”. Oftmals mit falschen Informationen über den Einsatzort. „Das alles war nur möglich, weil die Opfer unsichtbar und weit entfernt blieben”, glaubt Nash, der nach dem Krieg Französisch- und Deutschlehrer [und Lehrerkollege von Dr. Martin Deutschkron] wurde.
Der 82-Jährige berichtet von einem Schlüsselerlebnis in deutscher Gefangenschaft: Hungrig, durstig und ungewaschen sei er auf dem Weg zum Verhör durch eine Stadt in Ruinen geführt worden. Drei Frauen begegneten ihm. Statt ihn als Terrorpiloten zu beschimpfen, habe ihm die eine ein Stück Brot gereicht. „Das hat mich später zum Pazifisten gemacht.“
Hubert Schmitz (HSL): Der Bericht stammt aus dem Jahre 2004, hat aber höchste Aktualität. 2014, ein Jahrzehnt später, erreichen uns Nachrichten über Kriege in vielen Teilen der Welt, die über die Medien in schrecklichen, farbigen Bildern in jedes Haus gelangen - auch hier in Lorbach. Die gleichen Szenarien von vor 75 Jahren haben Mr Nash in seiner Rückschau zum "Nie wieder Krieg!"-Pazifisten gemacht.